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Klappentext:
Elaine Somerset ist ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen, das an einer Akademie für die königliche Garde ausgebildet werden soll. Ein Mädchen? In der Garde? Nicht nur dem Fechtlehrer geht das gehörig gegen den Strich. Auch der geheimnisvolle Tutor, den sie bisher nur aus Briefen kannte, verfolgt ganz eigene Ziele. In der Geschichte um Liebe, Familie und Intrigen muss Elaine ihre Identität als moderne Frau im England des frühen 19. Jahrhunderts finden ...Leseprobe:
Kapitel 1: Somerset Manor
Mit einem lauten Knall fällt das
Buch zu Boden. Ich erstarre und lausche in die Halle hinaus. Hat man mich
gehört? Wird gleich jemand angerannt kommen und mir wie so oft sagen, dass ich
in Papas Bibliothek nichts verloren habe?
Winzige Staubkörnchen steigen wie ein Feenreigen vom Boden
empor und funkeln in der Abendsonne, die trotz der staubigen Fenster den Raum
in goldenes Licht taucht. Abendsonne? So spät ist es schon? Oje! Das Licht wird
nicht mehr lange reichen, und es gibt noch viele Bücher zu sortieren. Um eine
Kerze wage ich nicht zu bitten. Papa hat klargestellt, dass er eine solche
»Verschwendung« nicht duldet.
Vorsichtig hebe ich das Buch auf. »Reisen in verschiedene
entlegene Länder der Welt« – kommt das auf den Stapel
»Reiseberichte«? Meine Finger fahren über die geprägte Schrift auf der
Vorderseite und ich lese weiter: »In vier Teilen von Lemuel Gulliver«.
Das Erscheinungsjahr 1726 macht es zum neuesten Buch, das ich bisher gefunden
habe. Hat unsere Familie etwa seit fast hundert Jahren kein Geld für neue
Bücher ausgegeben? Wo ist es denn dann geblieben?
Ich blättere in dem Reisebericht und staune über Zeichnungen
von winzigen Menschen – da! Ist das etwa ein Riese? Welche Länder der
Mann, der das Buch schrieb, wohl bereist haben muss! Mein Entschluss ist
schnell gefasst. Das Buch gesellt sich zu zwei weiteren auf die Kommode neben
der Tür. Ich werde es in Ruhe auf meinem Zimmer lesen.
Doch zunächst an die Arbeit. Die Bibliothek ist noch nicht
einmal zur Hälfte aufgeräumt. Bei den obersten Regalen werde ich mir von
unserem Dienstmädchen Victoria helfen lassen. Sie ist schon sechzehn und viel
größer als ich. Sie wird sicher die Bücher erreichen, an die ich nicht
herankomme.
Erst einmal die Ärmel hochkrempeln – ich will gar nicht
daran denken, was Papa sagen würde, sähe er mich mit nassen Kleidern. Ich
fische den Putzlappen aus dem Seifenwasser heraus und klettere auf den Stuhl.
Auf Zehenspitzen gelange ich bis an das dritte Regalbrett von oben –
»Elaine!
Victoria, such das vermaledeite Mädchen. Charlotte? Charlotte! Wo treibt
sich deine Tochter schon wieder herum?«
Vor Schreck fällt mir der Lappen aus der Hand. Er
hinterlässt einen riesigen Wasserfleck auf meiner Schürze. Mein Vater! Ihn darf
ich nicht warten lassen. Schnell nehme ich die Schürze ab und trockne meine
Hände daran. Die Tür der Bibliothek schließe ich hinter mir, so leise es in der
Eile nur möglich ist, und laufe zum Weinkeller.
Hoffentlich hat Papa nicht allzu viel getrunken. In
nüchternem Zustand ist er kein geselliger Mensch, betrunken benimmt er sich wie
unser Stallbursche, wenn dieser aus dem Dorf zurückkehrt. Mein Blick streift zwei
leere Weinflaschen auf dem Tisch sowie meinen Vater, der ungeschickt am Korken
einer weiteren Flasche zerrt. Nur mit Mühe unterdrücke ich ein Seufzen.
»Da!« Er hält mir die Flasche hin. Meine geübten Finger
haben bald den Korken heraus und schenken ihm nach, ohne dass es einer
Aufforderung bedarf. Er nimmt einen großen Schluck. »Und schenk dir auch was
ein!«
Widerwillen muss sich auf meinem Gesicht zeigen, denn er
knurrt: »Und komme mir nicht mit Ausreden wie: ›Ich bin doch erst dreizehn‹,
verstanden?«
»Zwölf«, murmele ich. Warum nur muss ausgerechnet heute die
übliche Weinpfütze auf dem Boden fehlen, die sonst spätestens am Ende der
zweiten Flasche auftaucht? Wohin soll ich nun heimlich mein Glas ausgießen? Mir
bleibt nichts anderes übrig. Vorsichtig nehme ich einen kleinen Schluck.
Glasige Augen mustern mich. »Und?«
Sauer und korkig, ist mein erster Gedanke. Natürlich hüte
ich mich davor, ihn laut auszusprechen. »In deiner Bibliothek gibt es ein Buch
mit Anleitungen, wie man Wein verkostet. Welche Kriterien man anwendet. Dabei
behält man ihn aber nur zum Schmecken im Mund und spuckt ihn dann aus …«
»Bist du des Wahnsinns, Mädchen? Den teuren Wein ausspucken?
Die Somersets sind seit vier Generationen im Weinhandel tätig, da braucht es
kein neunmalkluges Kind, das zu viel liest. Solche schlauen Hinweise verbitte
ich mir.«
Unglaublich, er bringt zusammenhängende Sätze heraus. Mit
der Pfütze wird das wohl nichts mehr. Weiter geht es stattdessen mit der
Schimpftirade: »Warst wieder in den Büchern schnüffeln, was? Ich habe deiner
Mutter schon gesagt, was ich davon halte. Nicht genug, dass du den ganzen
Quatsch lernen musst, den Huntington dir vorschreibt … Na immerhin zahlt
er dafür.«
Im Schweigen, das folgt, höre ich leise Schritte auf der
Treppe. Die Tür öffnet sich und Mama tritt ein. Sie sieht müde aus. Am liebsten
würde ich zu ihr gehen und sie umarmen, doch sie bleibt an der Tür stehen.
»Verzeih die Störung, Tobias …« Ihre Stimme klingt
matt. »Elaine sollte ins Bett gehen, sie hat morgen früh Klavierunterricht.«
Ein stumpfes Grunzen als Antwort. »Klavier spielen, tanzen,
Naturwissenschaften … Der Teufel weiß, warum sie das alles lernen soll.
Wieso mischt sich Huntington überhaupt in ihre Ausbildung ein?«
Mama ist klug genug, keine Worte zu vergeuden. Sie bringt
das einzige Argument, das für meinen Vater zählt. »Er zahlt die Ausbildung.«
Geduldig warten wir beide ab. Eine unwirsche Handbewegung
sagt uns, dass wir entlassen sind. »Dann sieh zu, dass sie ins Bett kommt,
Charlotte. Wenn der feine Herr will, dass sie was lernt, soll sie das
wenigstens ausnutzen.«
Mama schiebt mich zur Tür heraus. Sie lächelt mich an.
»Milch mit Honig, Liebling? Wie jeden Abend?«
Ich umarme sie und flüstere: »Ich hole noch schnell ein paar
Bücher.«
In meinem Zimmer wartet Mama schon mit einem Glas Milch und
einem Briefumschlag in der Hand. »Elaine, ich habe hier einen Brief von Mr.
Huntington …«
Jubelnd hüpfe ich aufs Bett. »Darf ich ihn lesen, Mama?
Bitte! Oh, du hast ihn schon geöffnet.«
Sie nickt. »Er enthält Neuigkeiten, die ich erst mit deinem
Vater besprechen musste, bevor wir dich einweihen.« Ein starker Hustenanfall
schüttelt sie.
»Du bist doch nicht krank, Mama? Mr. Huntington hatte einen
Arzt geschickt, richtig?«
»Nein, es ist alles in Ordnung. Was ich sagen wollte: Mr.
Huntington plant, dich in sein Haus zu holen. Du sollst bei ihm leben und an
seiner Akademie lernen.«
»Eine richtige Schule? Mit anderen Kindern?« Meine Wangen
werden heiß vor Freude. »Wie wunderbar! Wann geht es los? Darf ich ihm gleich
zurückschreiben?«
Mama scheint sich nicht so recht mit mir zu freuen. Sie
streichelt traurig über meinen Kopf. »In zwei Wochen schon wird er dich abholen.
Du darfst ihm schreiben, aber bleibe nicht zu lange wach. Dein Unterricht
beginnt sehr früh, und du willst doch nicht, dass du hinter die anderen Kinder
zurückfällst, weil du hier nicht genug gelernt hast, oder?« Sie legt eine neue
Kerze auf meinen Nachttisch.
»Eine zweite Kerze?«, frage ich ehrfürchtig. »Hat Papa das
erlaubt?«
Sie hebt den Kopf und ein seltener Anflug von Stolz huscht
über ihr Gesicht. »Tobias hat uns genug verboten. Ich weigere mich, wegen einer
einfachen Kerze um Erlaubnis zu fragen.« Sie gibt mir einen Gutenachtkuss. Als sie
sich umdreht und zur Tür geht, huscht ein trauriger Schatten über ihr Gesicht.
Wenn ich nur wüsste, wie ich helfen kann!
Sie kommt noch einmal zurück an mein Bett. »Du musst mir
versprechen, bei Mr. Huntington fleißig weiterzulernen. Er hat viel Gutes für
unsere Familie getan. Deine Aufgabe ist es nun, etwas zurückzugeben.«
Ich nicke eifrig. Sie streichelt über mein Haar, gibt mir
noch einen Kuss und verlässt mein Zimmer. Ich springe vom Bett herunter und
hebe die Matratze an. Zwischen die Latten geklemmt liegt ein kleines Büchlein,
dessen Leineneinband schon ordentlich abgetragen aussieht. Ich verstecke es
zusammen mit der Kerze unter meinem Kleid und ziehe vorsichtig die mächtige
Türe auf. Kein Laut ist zu hören. Bestimmt ist Papa über dem Wein eingeschlafen.
Ich schleiche durch die Halle hinüber in die Küche. Victoria fährt herum, als
ich an ihr vorbeihusche.
»Victoria, du musst mir morgen mit den oberen Regalen
helfen«, flüstere ich. Dann tapse ich zum Dienstboteneingang und entzünde meine
Kerze an der letzten noch brennenden Lampe. Draußen funkeln die Sterne an einem
dunkelblauen Himmel. Eine wunderbare Nacht für den Astronomieatlas, den Mr.
Huntington mir zum achten Geburtstag geschenkt hat. Ich werde es bestimmt
schaffen, auch noch die letzten vier Sternbilder zu finden, bevor ich an seine
Schule komme. Dann werde ich ihn stolz machen, genau wie ich es Mama
versprochen habe.
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